#in search of new perspectives
Was heißt anti-rassistisch Kuratieren?
fluxus² ist die kritische Auseinandersetzung mit und in der bildenden, angewandten und darstellenden Gegenwartskunst und möchte deren öffentliche Diskussion fördern. Mit Projekten wie dem fluctoplasma Festival versucht der Verein in der Praxis, repräsentationspolitische, diversitätssensible und kapitalismuskritische Ansprüche mit dem Leistungs- und Zeitdruck einer prekären Kulturlandschaft in Einklang zu bringen. Aber ist das überhaupt möglich? 2022 haben wir angefangen, uns mit Freund*innen und Kolleg*innen auszutauschen und haben dabei statt der erhofften Antworten immer mehr Fragen gefunden. Hier findet ihr den Versuch einer Dokumentation unserer Reise zu der Frage: Was bedeutet antirassistisch zu kuratieren und zu arbeiten? Und die Reise ist noch nicht zu Ende.
Wie anfangen? Wen einladen? Welche Fragen stellen wir uns?
März 2022
Wir sitzen an gedeckten Tischen. Getränke, Essen, Zettel, Stifte, Laptops, Handys, Moderationskarten. Und versuchen irgendwie anzufangen.
Antirassistisch Arbeiten, das heißt, Räume des Zusammenkommens zu schaffen.
KURATIEREN
Zugrunde liegt lateinisch curare → la „sorgen für, sich kümmern um“. Kuratieren kam in Deutschland erst Anfang des 21. Jahrhunderts in Gebrauch. Seitdem hat es sich in seiner Bedeutung mehr und mehr von der Person des Kurators gelöst und eigenständige Lesarten gewonnen. Aus den Erfahrungen des fluctoplasma Festivals fragen wir uns vor allem: Wie suchen wir Kurator*innen aus – nach aktivistischen, künstlerischen oder anderen Kategorien? Nach Positionierungen? Wie schaffen wir repräsentationspolitische Veränderungen ohne Tokenismen? Welche Rahmenbedingungen brauchen Kurator*innen, um eigenständig handeln zu können, aber doch eingebunden in das Gesamtfestival zu sein? Wir lernen von Prozedere von Stiftungen und Öffentlichen Förderungen, wir fragen Verbündete: Was ist euer Weg?
Mai 2022
Im Garten des café nova auf der Hamburger Elbinsel Veddel diskutieren wir, wie Kulturveranstaltungen von und mit Betroffenen rechter Gewalt gestaltet werden können? Klar ist: Betroffene müssen für sich selbst sprechen. Wie kann eine sensible Produktionsarbeit dabei unterstützen? Projektlogiken entziehen dem notwendigen Raum für Vertrauensaufbau und Aushandlungsprozesse oft den Boden – es fehlt häufig schlicht die notwendige Zeit, weil die Ressourcen zu knapp sind. Wie entgehen wir dem Druck, Ergebnisse präsentieren zu müssen?
#not about us
without us
Was heißt antirassistisch Kuratieren für dich?
Das haben wir befreundete Künstler*innen, Kurator*innen und Kulturarbeiter*innen gefragt. Hinter den gelben Kacheln kommt ihr zu den sehr unterschiedlichen Antworten.
Kuratieren heißt für mich: nicht ausstellen, sondern einladen.
ANTIRASSISMUS
Ist Antirassismus eine Haltung, ein Button auf dem T-Shirt oder einfach die Liebe zu Mitmenschen? Drückt sich Antirassismus durch das Vermeiden bestimmter Worte aus, oder durch die aktive Unterstützung von Rassismus Betroffener? "Antirassismus ist systemrelevant für unsere Demokratie", sagt die Bundesregierung und schafft trotzdem immer wieder Situationen, in den von Rassismus Betroffene allein gelassen werden. Wenn wir von Antirassismus sprechen, gehen wir von einem Rassismusverständnis aus, das Rassismus als tief in unserer Gesellschaft verwurzelt betrachtet. Nicht einzelne Neonazis sind rassistisch – wir alle sind es. Weil wir alle mit Bildern, Erzählungen und Stereotypen sozialisiert wurden, die Gruppen entmenschlichen und beleidigen. Aber wie verlerne ich meinen eigenen, mir ansozialisierten Rassismus? Wie können wir bei der ganzen Gewalt aufeinander zugehen und gemeinsam gegen Rassismus arbeiten?
"...und ich sehe die Überstunden, die Frustration und die Burnouts. Und für diese Menschen ist es wichtig zu sagen: Es ist kompliziert. Lasst uns aufhören so zu tun, als wäre es einfach und wir nur nicht engagiert genug."
Die Welt, unsere Gesellschaft, hinterlässt so viele Verletzungen – finden wir Wege, über diese Verletzungen hinweg zu kommunizieren? Einmal mehr führen Auseinandersetzungen über die Frage einer macht- und diskriminierungssensiblen gemeinsamen Arbeit zu so starken Differenzen, dass nicht weiter miteinander gearbeitet werden kann. Es trennen sich ehemalige Verbündete.
# kuratieren heißt auch streiten
“Verlern-Prozesse als Lernprozesse, gleiche Verteilung / Zugänge zu Ressourcen für alle, ein neues Wertesystem, wo das Dazwischen zelebriert wird, eine inklusive Gesellschaft; neue Praktiken von Empathie und Solidarität.”
Wanda Dubrau
# building trust
Zoom-Konferenzen nach-Zoom Konferenzen, Besuche in unterschiedlichen Städten der Bundesrepublik: Welche Erfahrungen gibt es, auf welche Probleme stoßen Mitstreiter*innen? Es wird deutlich, um einander ganz offen zu erzählen, was die Komplexitäten sind und woran wir scheitern, müssen wir Vertrauen aufbauen. Aber wie gelingt das über online Kommunikation und unterschiedliche Alltagsrealitäten? Wie kommen wir zu dem Punkt, einander ehrlich antworten zu können, was wir brauchen und uns wünschen?
Wieso klingt „ich kümmere mich um“ so viel angenehmer, als „ich kuratiere“?
INTERSEKTIONALITÄT
Intersektionalität ist ein Begriff, der das Zusammenwirken mehrerer Unterdrückungsmechanismen beschreibt. Er wird sowohl in der wissenschaftlichen Forschung als auch in pädagogischen, bildungspolitischen und aktivistischen Zusammenhängen benutzt. Die intersektionale Perspektive will darauf hinaus, dass Menschen immer mehrere Identitäten in sich vereinen – und dementsprechend jede Erfahrung von Diskriminierung sehr indivuell ist. Zum Beispiel erlebt eine weiße Frau* mit chronischen Erkrankungen Ausgrenzung anders, als eine Schwarze Frau*, und diese wieder anders als ein Schwarzer Mann* – usw. Eine Kulturarbeit, die intersektionale Perspektiven vertreten will, kann dies sowohl in Hinblick auf die verhandelten Themen, die sprechenden Personen, als auch auf die eigene Arbeitsweise tun. Was bedeutet das für den konkreten Alltag des Kuratierens aber genau?
"Für Menschen, die von (Mehrfach-)Marginalisierungen betroffen sind, kann selbst das Sprechen über Utopien ein Privileg sein. Um überhaupt die mentalen, sowie emotionalen Kapazitäten zu haben, sich mit Zukunftsperspektiven auseinanderzusetzen, müssen diese Ressourcen bereits in der Gegenwart aktiviert werden."
Döndü Cillo
Anti-rassistisch Arbeiten heißt gemeinsam Ver-Lernen, Um-Lernen, neu denken.
Die "fluctoplasma Netzwerkreihe zum antirassistischen Kuratieren" fand 2022 fluide über das Jahr verteilt in unterschiedlichen Begegnungen, Workshops und Sichtbarkeiten statt. Im Oktober machte sie im Rahmen des fluctoplasma Festivals in der Tagung "in search of new perspectives" einen Schritt an die Öffentlichkeit und wird dies in Zukunft noch an anderen Stellen tun. Denn die Reise hat gerade erst begonnen.
Die fluctoplasma Netzwerkreihe zum antirassistischen Kuratieren wurde 2022 gefördert vom Fonds Darstellende Künste aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien im Rahmen von NEUSTART KULTUR.